Agiles Produktmanagement für die Kreislaufwirtschaft
Seit einiger Zeit wird der Begriff "Kreislaufwirtschaft" vermehrt in der Literatur, in Artikeln und sogar in den Nachrichten verwendet. Er ist nicht neu [1], gewinnt aber vor dem Hintergrund von Megatrends wie Klimawandel oder Wirtschaftskrisen zunehmend an Interesse als möglicher "anderer", nachhaltiger Weg zu wirtschaften.
"Die Schweiz als rohstoffarmes Land verfolgt bereits seit Mitte der 1980er Jahre Ansätze hin zu einer Kreislaufwirtschaft – und es ist ihr gelungen, gewisse Kreisläufe zumindest teilweise zu schliessen." Das Schweizer Bundesamt für Umweltschutz (BAFU) widmet sich dem Thema Kreislaufwirtschaft mit einer groben Einführung und verschiedenen Massnahmen, die sie zu diesem Thema planen oder bereits umsetzen.
International hat sich die Ellen MacArthur Foundation dem Thema verschrieben, bietet viele Veranstaltungen und Informationen und arbeitet u.a. eng mit der TU Delft zusammen. Ihre Darstellung betont die Gleichwertigkeit der zwei unterschiedlichen Arten von Kreisläufen, der biologischen und der technischen. Ich empfinde sie als übersichtlicher, aber das ist Geschmackssache.
Kreislaufwirtschaft ist mehr als nur Materialfluss
Auf beiden Bildern erkennen wir im äussersten Kreis den Materialrückfluss als "Recycling". In diesem Bereich gibt es einige Ströme, die bereits recht gut etabliert sind, z.B. die Sammlung von PET-Flaschen, die einen sehr hohen Rücklaufgrad hat, Altpapier, Textilien oder Stahl. Neben dem Vorteil, dass wir eine Trennung zwischen Produktherstellern und Materialrezyklern haben, hat dieser Ansatz zwei Nachteile:
Er bedarf einer hohen Energierate, um den Rohstoff wieder "herzustellen".
Aus dem wiedergewonnenen Rohstoff können nicht immer gleichwertige Produkte erzeugt werden, wir haben also eine Degradierung der Rohstoffqualität - dies kann an den Materialeigenschaften oder aber an Verunreinigungen liegen.
Die gute Nachricht für Firmen, die wiedergewonnene Rohstoffe verwenden möchten: es gibt immer mehr Akteure, die sich am "Schliessen der Kreisläufe" für weitere Materialien beteiligen, und es entstehen Plattformen, die Anbietern und Suchenden helfen, einander zu finden. Gute Materialdaten, Verfügbarkeit und lokale Nähe können dabei wichtige Daten sein.
Schon auf dieser Ebene fällt auf, was ein guten Kriterium für kreislauffähige Produkte ist: sind die Materialien so verwendet, dass sie sich leicht trennen lassen oder im Idealfall nur ein Material benötigt wird, ist ihre Rückgewinnung deutlich einfacher! Im Craddle-to-Craddle-Ansatz wird dieser Weg konsequent verfolgt [2].
Zusätzlich die dem grossen Kreislauf sehen wir mehrere kleine Kreise: je kleiner der Kreis ist, desto besser ist die Energiebilanz. Reparieren, teilen oder lebensverlängernde Massnahmen sind erstrebenswerter als Wiederverwendung und Neuverteilung als Modulaustausch, Refurbishing + Remanufacturing genannt, was noch immer erstrebenswerter ist als Recycling.
Die beste Energiebilanz hat ein langlebiges Produkt
In einem Kurs zur Kreislaufwirtschaft war ich mit einer Produktentwicklerin von einem deutschen Hausgerätehersteller in einer Arbeitsgruppe. An diesem Punkt rief sie aus: "Aber das bringt ja unser ganzes Geschäftsmodell durcheinander!" Als Verbraucherin stand sie voll hinter der Aussage, aber beruflich war sie angehalten, Massenware herzustellen, die hilfreich genug und preislich akzeptabel waren. Wenn sie neu langlebige Produkte auf den Markt bringen sollte, dann würde die Stückzahl ja drastisch sinken - was hiess das für ihre Produktion und für ihre Tauschwerthypothese? Und wenn diese Dinge neu hinterfragt werden, welche Freiheitsgrade oder Einschränkungen ergeben sich daraus an anderer Stelle?
Wenn wir nicht beim Material stehen bleiben, kommen wir von einem Punkt zum nächsten, wir erkennen Paradigmen und Systeme, die wiederum Teile von grösseren Systemen sind. Ken Webster hat dafür das Bild vom "Circular Economy Sandwich" geprägt:
Das Brot besteht aus der Basis mit den "Enabling Conditions" und dem Deckel "Systems Thinking". Dazwischen liegen als BLT-Belag die Herstellung und die Nutzung. Und gerade die beiden Seiten des Brotes kennen wir auch in der lean-agilen Welt.
Agiles Produktmanagement für komplexe adaptive Systeme
In dem Film "Closing the loop" [3] wird von Interface, einem Teppichhersteller, berichtet, der mit einer klaren Vision und konsequentem Ausrichten an den neuen Prinzipien innerhalb von 10 Jahren ein neuartiges Geschäftsmodell mit einem neuartigen Produkt entwickelt hat. Als Erfolgskriterien möchte ich folgende hervorheben:
Das Topmanagement stand hinter dem Vorhaben
Es gab klare Prinzipien und eine richtungsgebende Vision
Es war von Anfang an klar, dass diese Umstellung nicht "schnell" passiert: es ging um die konsequente Umsetzung in der Zeit, die eben nötig ist
Es kamen alle bisherigen Vorgehensweisen auf den Prüfstand: Material, Maschinen, Arbeitsabläufe, Geschäftsmodell
Ergänzend mit einer iterativen Vorgehensweise und einer ausgesprochenen Kundennähe haben wir wichtige Zutaten für neuartige Produkte oder Dienstleistungen beieinander.
Und was ist agil an diesem Ansatz? Wir werden dann agil, wenn wir
so schnell wie möglich Lernzyklen schliessen und das Gelernte in die Weiterentwicklung des Produkts / der Dienstleistung einfliessen lassen
diese Lernzyklen nicht nur innerhalb einer Disziplin, sondern innerhalb der Firma zwischen allen Beteiligten Disziplinen vollziehen sowie mit und durch regelmässiges Kundenfeedback
alle Beteiligten Kundenkritik und -lob miterleben lassen, sodass in ihrem Sinne verbessert werden kann
Veränderung und Anpassung als kontinuierliche Aufgabe
Carol Sanford hat mal gesagt, die grössten und schnellsten Veränderungen hat sie erlebt in Zeiten grossen Umbruchs, die mit Hoffnung gepaart waren: als sie in Südafrika nach dem Fall des Apartheitsregimes gearbeitet hat, war sie beeindruckt, wie in relativ kurzer Zeit grosse Veränderungen erfolgen können. Triebfeder war die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Die Grenzen des Wachstums hat der Club of Rome 1972 vorgelegt, sie haben diese Wirkung (noch) nicht entfalten können. Vielleicht setzen die Einschränkungen von COVID-19 Grenzen und Energien frei, die einen radikaleren Wandel hin zu nachhaltigem Wirtschaften ermöglichen. Die Kreislaufwirtschaft kann uns eine neue Denkrichtung ermöglichen, lean-agile Praktiken uns unterstützen und eine konstruktive Zusammenarbeit auf allen Ebenen ermöglichen.
Und wo anfangen?
Sie möchten gerne Ihr Unternehmen nachhaltiger aufstellen, wissen aber vor lauter Möglichkeiten nicht, wo Sie anfangen sollen? Es gibt Anbieter auf dem Markt, die Ihnen eine Schnellanalyse anbieten, die vielversprechende Handlungsfelder für Ihr Unternehmen aufzeigen. Neu bietet auch der World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) mit den Circular Transition Indicators eine Möglichkeit, eine Einschätzung zu erhalten. Vielleicht ist auch innerhalb Ihrer Firma Potential für einen Kreislaufansatz.
Gerne trinken wir einen Kaffee mit Ihnen und schauen, welches Vorgehen zu Ihnen passt.
Autorin: Ina Paschen
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[1] Wikipedia zur Geschichte des Begriffs:
As early as 1966 Kenneth Boulding raised awareness of an "open economy" with unlimited input resources and output sinks, in contrast with a "closed economy", in which resources and sinks are tied and remain as long as possible a part of the economy. Boulding's essay "The Economics of the Coming Spaceship Earth" is often cited as the first expression of the "circular economy", although Boulding does not use that phrase.
The circular economy is grounded in the study of feedback-rich (non-linear) systems, particularly living systems. The contemporary understanding of the Circular Economy and its practical applications to economic systems evolved incorporating different features and contributions from a variety of concepts sharing the idea of closed loops. Some of the relevant theoretical influences are cradle to cradle, laws of ecology (e.g., Barry Commoner § The Closing Circle), looped and performance economy (Walter R. Stahel), regenerative design, industrial ecology, biomimicry and blue economy.
The circular economy was further modelled by British environmental economists David W. Pearce and R. Kerry Turner in 1989. In Economics of Natural Resources and the Environment, they pointed out that a traditional open-ended economy was developed with no built-in tendency to recycle, which was reflected by treating the environment as a waste reservoir.
[2] Wikipedia zur Kreislaufwirtschaft:
Ende der 1990er-Jahre entwickelten der deutsche Chemiker Michael Braungart und der US-amerikanische Architekt William McDonough das Cradle-to-Cradle-Prinzip (englisch, dt. wörtlich „Von Wiege zu Wiege“) als Ansatz für eine durchgängige und konsequente Kreislaufwirtschaft. Das Ziel ist das Erreichen von Ökoeffektivität, also Produkten, die entweder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt werden können oder als „technische Nährstoffe“ kontinuierlich in technischen Kreisläufen gehalten werden.
[3] Film "Closing the loop"
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